Entwicklung der Schmerztherapie
Schmerz ist eine der am stärksten mit Angst besetzten menschlichen Erfahrungen und einer der häufigsten Gründe, warum Menschen medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Starke und anhaltende Schmerzen können das Leben von Schwerstkranken und Sterbenden oft unerträglich machen. Schmerztherapie/Palliativ-Medizin (lat. palliare = mit dem Mantel bedecken, lindern) und Symptomkontrolle waren und sind aus diesem Grunde eines der wichtigsten Anliegen der Hospizarbeit.
In den vergangenen 15 bis 20 Jahren wurden zwei entscheidende Behandlungsgrundsätze entwickelt:
1. Die Einnahme nach der Uhr. Statt mit der Einnahme der Schmerzmittel bis zur Unerträglichkeit des Schmerzes zu warten, hält sich der Patient an einen genau festgelegten Zeitplan, entsprechend der Wirkdauer der Arzneisubstanz. Dadurch sind geringere Dosen notwendig. Dieses Prinzip kennt man ja von einer herkömmlichen Thermostat-Heizung: Statt zu warten, bis ein Raum völlig ausgekühlt ist, beginnt die Heizung bereits früher mit dem Nachheizen und spart somit Energie.
Einnahme in regelmäßigen Abständen, angepasst an die Wirkdauer der Medikamente
2. Die Kombination von peripher und zentral wirksamen Schmerzmitteln. Dazu muss man die beiden wesentlichen Arten von Schmerzmitteln unterscheiden:
– Peripher wirksame Schmerzmittel setzen die Schmerzempfindung am Ort des Geschehens ab. Kopfschmerz- oder Rheumamittel gehören etwa in diese Kategorie.
-Zentral wirksame Schmerzmittel dämpfen die Schmerzverbreitung bereits im Gehirn, also sozusagen die Bewusswerdung des Schmerzes.
Durch die Kombination von Medikamenten aus beiden Substanzgruppen erreicht man eine erhebliche Wirkungsverstärkung, ohne dass sich die Nebenwirkungen verstärken.
Die Behandlung
Da jede Behandlung individuell abgestimmt werden muss, lässt sich im Folgenden nur ein prinzipielles Schema aufzeigen. Die Behandlung beginnt meist mit der Verabreichung eines relativ schwachen Opioids wie etwa Tramal, wobei manchmal auch zu stärkeren Medikamenten wie Morphin gegriffen werden muss. Die Nebenwirkungen dieser starken Mittel werden durch die beschriebenen Grundsätze der Gleichmäßigkeit und der Kombination gering gehalten. Besonders ist zu betonen, dass die Gefahr einer Suchtentwicklung auf diese Weise weit gehend verhindert wird. Häufige Nebenwirkungen einer Opioid-Therapie sind Übelkeit, Erbrechen und dauerhafte Obstipation (Verstopfung). Aus diesem Grund ist bei den meisten Patienten eine Begleitmedikation notwendig, um diese Symptome zu verhindern (mildern).
Zusammen mit einer ganzen Palette weiterer Medikamente und vielfältigen Methoden der örtlichen Betäubung ermöglicht diese Vorgehensweise selbst bei stärksten chronischen Schmerzen in über 90 % der Fälle eine effektive und doch nebenwirkungsarme Schmerzlinderung!
Das WHO-Stufenschema
„Totaler Schmerz“
Die Behandlung der körperlichen Schmerzen ist eine wichtige Säule der Behandlung schwerstkranker und sterbender Menschen. Cicely Saunders prägte Ende der 60er Jahre den Begriff des „totalen Schmerzes“, um die Komplexität der Schmerzen bei Krebskranken hervorzuheben. Der Ausdruck „totaler Schmerz“ beschreibt alle Facetten des Schmerzes: physisch, emotional, sozial und spirituell.
Diese ganzheitliche Sicht verleiht diesem Begriff eine zentrale Bedeutung in der Hospizarbeit und wurde Grundlage für die einzigartige Einstellung zum sterbenden Patienten und seiner Familie, die Personen aus verschiedenen Fachdisziplinen mit einbezieht (Schmerztherapeuten, Seelsorger, Hospizschwestern, Sozialarbeiter und andere). Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist zum Kennzeichen der Palliativmedizin und zu einer wesentlichen Grundlage für eine adäquate Schmerztherapie geworden.